So kickst du das Passiv aus deinen Texten

Okt 29, 2022 | Stilkunde

Das Passiv gilt als Stilsünde – aus zwei guten Gründen: Es ist umständlich und verschleiert, wer was tut.
Beim Schreiben ist es uns so vertraut, dass wir es kaum bemerken. So spürst du du das Passiv auf und formulierst aktiv. 

Was ist so schlimm am Passiv?

1. Das Passiv ist umständlich.

Passiv-Formulierungen sagen nicht, wer was tut, sondern was von wem getan wird. Klingt umständlich? Ist es auch.

Passiv: Das Interview wurde im Jahr 2007 von Igedo TV geführt.
(= Was wird von wem getan?)

Unser Gehirn will aber wissen: Wer tut was? Wir müssen um die Ecke denken, um diese Frage zu beantworten – das bremst unsere Lesegeschwindigkeit und macht Texte weniger verständlich.

Aktiv: Igedo TV führte im Jahr 2007 das Interview.
(= Wer tut was?)

2. Das Passiv verschleiert, wer handelt.

Es wurde ein Maßnahmenpaket beschlossen, das deutliche Verschlechterungen für die unteren Einkommensschichten bedeutet.

Oje. Wer war der Bösewicht? Nenne das Kind beim Namen! Sonst rattert die Frage „Wer hat das getan?“ im Kopf weiter und stört unseren Leseprozess.

Passiv: Es wurde eine schriftliche Forderung von 54.000 Euro gestellt.
Aktiv: Das Inkassobüro forderte schriftlich 54.000 Euro.

 

 

Woher weiss ich, ob ich passiv schreibe?

Tauchen viele wird, werden und wurde in deinem Text auf, dann hast du womöglich einen Passiv-Jackpot gemacht:

Das neue Regierungsprogramm wird heftig kritisiert.
Folgende Seminare werden vom Personalbüro angeboten.
Das neue Produkt wurde von der Abteilung F&E entwickelt.

Steckt dahinter nur die Zukunftsform Futur, kannst du beruhigt sein. Das Futur ist unser Freund.

Der Künstler wird persönlich anwesend sein.
Die ältesten Vereinsmitglieder werden die Gäste begrüßen.

 

Manchmal wird das passiv bewusst eingesetzt.
Manche setzen das Passiv bewusst ein.

 

Vor allem, wenn es um Unangenehmes geht – etwa um Zahlungen.

So schreibt zum Beispiel eine NGO:
Der Mitgliedsbeitrag wird Ihnen monatlich vom Konto abgebucht.
Ehrlicher wäre: Wir buchen den Mitgliedsbeitrag monatlich von Ihrem Konto ab.

Oder das Militärkommando formuliert bei der Einladung zu einem Festakt:

Fahrtkosten, Verdienstentgang und sonstige Spesen können nicht ersetzt werden.
Um nicht zu schreiben: Ihre Fahrtkosten zahlen Sie schön selbst!

Aber so deutlich will das niemand sagen.

 

Wann ist das Passiv sinnvoll?

Jetzt habe ich das Passiv ziemlich schlecht geredet, dabei erfüllt es manchmal seinen Zweck:

1. Wenn wichtig ist, WEM etwas geschieht

Wen wir in den Mittelpunkt der Handlung stellen, kann eine politische oder soziale Frage sein:

Eine Frau wurde mit 10 Messerstichen von ihrem Ehemann ermordet.
Hier liegt der Fokus auf dem Opfer, daher passive Formulierung (= wurde ermordet).

Ein Ehemann hat mit 10 Messerstichen seine Frau ermordet.
Hier liegt der Fokus auf dem Täter, daher aktive Formulierung (= hat ermordet).

2. Wenn die Handlung im Vordergrund steht

Der Spa-Bereich wird um 22 Uhr geschlossen.
Wer hier den Schlüssel umdreht, interessiert die Saunagäste eher nicht. Dafür aber, wie lange sie schwitzen dürfen.

3. Wenn unklar ist, wer der oder die Handelnde ist

Am Wiener Platz der Menschenrechte wurde eine Installation des ukrainischen Kulturministeriums beschmiert.

Die Übeltäter:innen sind unbekannt, daher ist das Passiv ok.

Dennoch: Viel kräftiger wirkt auch hier eine aktive Formulierung. Immerhin haben Menschen etwas Wertvolles beschmiert. Dann sagen wir das auch so:

Am Wiener Platz der Menschenrechte beschmierten Unbekannte eine Installation des ukrainischen Kulturministeriums.

 

wie ist das in wissenschaftlichen texten?

In wissenschaftlichen Publikationen und Fachtexten ist das Passiv besonders beliebt. Verständlich, immerhin interessiert uns mehr eine neue Erkenntnis als wer dafür durch das Mikroskop geschaut hat.

Am 4. Juli 2012 wurde die Entdeckung des Higgs-Bosons im Kernforschungszentrum CERN in Genf verkündet.

Völlig egal, wer das verkündet hat. Denn: Hey, das Higgs-Boson wurde gefunden!

Dennoch: Wenn Menschen in Texten handeln, tauchen Bilder in unseren Köpfen auf. Das hilft, um Texte zu verstehen und sie besser zu erinnern. Gerade in Fachtexten und wissenschaftlichen Publikation tragen aktive Formulierungen zum Textverständnis bei.

 

Wie viel Passiv verträgt ein Text?

Manche Schreibratgeber empfehlen: maximal 10 Prozent passive Formulierungen pro Text. Das halte ich für Unfug. Wie viel Passiv dein Text erfordert, ist von deinen Inhalten abhängig. Ist die handelnde Person wichtiger oder die Handlung?

Ich empfehle: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. 

 

Wie formuliere aktiv?

Das Passiv ist uns so vertraut, dass es uns beim Schreiben kaum auffällt. Prüfe deinen Text daher systematisch:

  1. Markiere alle wird, werden und wurde(n) in deinem Text.
  2. Wenn du auf ein Passiv triffst, frage dich: Ist das hier gut eingesetzt?
  3. Andernfalls formuliere den Satz um, indem du die Frage beantwortest: Wer tut was?
CHECKBOX

So spürst du das Passiv auf und formulierst aktiv

 

  • Markiere alle wird, werden und wurde(n) in deinem Text. Die Zukunftsform kannst du ignorieren.
  • Wenn du auf ein Passiv triffst, frage dich: Ist das hier gut eingesetzt?
  • Andernfalls formuliere den Satz um, indem du die Frage beantwortest: Wer tut was?
  • Bleib dran, auch wenn dir das Umschreiben mühsam erscheint. Deine Texte werden durch aktive Formulierungen lebendiger und verständlicher.
  • Zerbrich dir beim Schreiben nicht den Kopf über aktive oder passive Formulierungen. Das ist ein Fall für die Überarbeitungsphase.

ZUSAMMENFASSUNG

Wir lieben das Passiv, weil es beim Schreiben so vertraut aufs Papier fließt. Oder „wissenschaftlich“ und damit irgendwie klug klingt. Leider Fehlanzeige. Das Passiv ist meist umständlich, bremst uns beim Lesen und wirkt bürokratisch. Wer es verwendet, sollte gut abwägen, ob es sinnvoll eingesetzt ist. Faustregel: Wenn es um etwas Besonderes geht oder der/die Handelnde wichtig ist, verwende das Aktiv. Steht die Handlung im Mittelpunkt, benutze das Passiv.

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